Wirkungsmessung neu gedacht: Wirkung als Prozess (2)

Posted by Simon Höher
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Wirkungsmessung neu gedacht: Wirkung als Prozess (2)

In Teil 1 haben wir gesehen, wie problematisch ein allzu enges Verständnis von Wirkung als Ergebnis unserer Interventionen sein kann. Wir wollen daher eine Alternative vorschlagen und Wirkung als Prozess begreifen – also darauf schauen, WIE wir arbeiten. Wie kann das aussehen?

Ein solcher Wirkungsbegriff verlagert unseren Fokus: weg von der willkürlichen Auswahl eines Startpunkts („Projektstart?“) und eines Endpunkts („Zeitpunkt der Messung?“) einer Intervention, weg von der fragwürdigen Beschreiben von Wenn-Dann-Geschichten, die Eigenleben und Unbekanntes außen vor lassen. Und damit auch weg von den Kompromissen, die sich aus dem Wunsch einer klaren Bezeichnung von konkreten Auswirkungen einer konkreten Aktion ergeben.

Ein solch neuer Blick auf Wirkung würde es uns ermöglichen, nicht ergebnisorientiert, sondern prozessorientiert zu handeln. Also Interventionen nicht im Nachhinein zu beurteilen, sondern kontinuierlich während ihrer Umsetzung zu lernen und Anpassungen vorzunehmen

Wirkung ist dann viel weniger ein Ergebnis als ein Prozess.

Es geht dabei weniger um Veränderung als Resultat, sondern um laufendes Verändern als Kontinuität. Wirkung als Prozess ist ein Mittel zum Zweck, der sich selbst mit unserer Arbeit ständig weiterentwickelt.

Anstatt uns auf riskante Wirkungskennzahlen zu konzentrieren – und einen Tunnelblick auf deren Erreichung zu bekommen – werden also die dahinter liegenden Routinen viel interessanter: Verhaltensmuster, Entscheidungsprozesse, Anreize, Kontexte und Widersprüche. In gewisser Weise nutzen wir die in Teil 1 beschriebene Idee der Emergenz so zu unserem Vorteil: Welche kleinen, einfachen Regeln können wir erkennen und uns zunutze machen? Wie können wir die zugrunde liegenden Bedingungen eines Prozesses so verändern, dass die Auswirkungen, fast wie ein Nebeneffekt, wahrscheinlicher werden? Wie treffen wir politische Entscheidungen, die bestimmten Grundsätzen entsprechen, unabhängig von ihren unmittelbaren Ergebnissen? Welche neuen Routinen oder Muster sollten wir aufbauen?

Und an welche handlungsleitenden Prinzipien können wir uns bei der Gestaltung dieser Wirkungsprozesse orientieren?

Wir haben vier Vorschläge:

Prinzip 1: Wirkung als Netzwerk

Ein erster Grundsatz für den Umgang mit Wirkung als Prozess besteht darin, unser Verständnis dessen, was wir als Wirkung betrachten, erheblich zu erweitern. Das bedeutet, ein Verständnis von Wirkung als dezentralisiertes und diversifiziertes Phänomen zu entwickeln: ein Portfolio von Veränderungen unterschiedlichster Art auf unterschiedlichen Ebenen – inklusive Wechselwirkungen, Widersprüchen und Rückkopplungsprozessen.

Wirkung wird damit ein komplexes Netzwerk verschiedenster „Veränderungen“, die je nachdem, wen wir fragen und wann wir fragen, unterschiedlich bewertet werden können.

In einem solchen Verständnis von Wirkung gibt es keine guten oder schlechten Ergebnisse an sich, sondern eine höchst subjektive und vielfältige Reaktion in unseren Ökosystemen auf unterschiedlichste Interventionen, die wir miteinander koordinieren müssen. Zudem gilt ein radikal erweiterter und flexibler Zeitrahmen, der es ermöglicht, zukünftige Entwicklungen zu berücksichtigen: Was heute wünschenswert erscheint, könnte sich morgen als problematisch erweisen. Was gestern ein Problem war, entpuppt sich heute als glücklicher Zufall. Ein solch flexibler Umgang mit Zeiten, Perspektiven und Schwerpunkten hilft dabei, vorschnelle Urteile zu vermeiden und immer wieder Spielraum für potenzielle Weiterentwicklungen zu schaffen.

Wirkung wird hier zu einer verteilten Struktur von Welleneffekten – wie Steine, die ins Wasser fallen, statt Dominosteine, die immer nur den nächsten Stein zum fallen bringen. Veränderungen sind dabei immer zugleich Ursache und Wirkung verschiedener und auch scheinbar unzusammenhängender Ereignisse und Geschichten, die von allen Akteuren in einem Ökosystem über verschiedene Zeithorizonte hinweg angetrieben werden.

Klingt toll. Aber wie kann das aussehen?

Bei NetZeroCities etwa untersuchen wir, wie ein solches dezentrales Verständnis von Wirkung mehr als nur CO2-Emissionen in den Blick nehmen könnte: Sogenannte Co-Benefits zielen darauf ab, scheinbar voneinander unabhängige Datenpunkte in einem Ökosystem zu verbinden. Dies erschwert zwar die Angabe einer einzigen großen Zahl, ermöglicht aber ein echtes, vielschichtiges Verständnis der Auswirkungen in einem ebenso vielschichtigen Netzwerk von Perspektiven, Entwicklungen, Werten, Beobachtungen und Erinnerungen.

Ein ähnliches Prinzip gilt bei der TreesAI-Initiative. Auch hier geht es um Multi-Benefits auf vielen verschiedenen Ebenen, von psychologischer und körperlicher Gesundheit über Biodiversität bis zu Sicherheit und Kriminalitätsprävention.

Prinzip 2: Die Anzahl der Wahlmöglichkeiten erhöhen

Ein zweites Prinzip, um unsere Interventionen mit einem neuen Blick zu betrachten, ist einfache Regel:

“Handle stets so, dass sich die Anzahl der Möglichkeiten erhöht.”

Was Heinz von Foerster den ethischen Imperativ nannte, würde uns dazu bringen, kontinuierlich daran zu arbeiten, die Entwicklungschancen und Varianzen in den Systemen, mit denen wir interagieren, zu erweitern. Es würde bedeuten, uns zu fragen, welche Rahmenbedingungen wir schaffen könnten, um mehr Optionen und Autonomie für andere Akteure im System zu ermöglichen. Und es würde ein Verantwortungsbewusstsein wieder einführen:

Wenn wir es wagen, uns von der Illusion einer objektiven Wirkungsmessung zu verabschieden, sind wir gezwungen, Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen. Denn dann ist klar: Wir sind es, die einige Bezüge herstellen und andere nicht, die Mittel und Zwecke priorisieren und ausklammern – und nicht irgendein “Sachzwang”. Das ist interessant, denn oft besteht dann der verantwortungsvollste Akt darin, andere in die Lage zu versetzen, Verantwortung für sich selbst übernehmen zu können.

Wie könnte dies in der Praxis aussehen?

Wenn wir in „ermöglichenden Bedingungen“ (enabling conditions) denken, können wir die Verfügbarkeit der notwendigen Ressourcen für andere Akteure in unserem Ökosystem in den Blick nehmen. Welche Affordanz, also welche Möglichkeiten und Rahmen können wir gestalten, damit diese autonom und abgestimmt handeln können? Zu diesen Affordanzen können Finanzmittel, Daten, politische Rahmenbedingungen, Recht, physische und virtuelle Infrastrukturen und sogar Narrative gehören. Hier wird schnell klar: es gibt kein einfaches Wenn-Dann, sondern nur verantwortungsvolles Explorieren und Experimentieren.

Dies kommt dem sehr nahe, was wir bei Dark Matter Labs im Sinn haben, wenn wir über Portfolios sprechen: die Gestaltung von Möglichkeiten und Rahmenbedingungen für Akteure, damit diese autonom und abgestimmt im Sinne einer gemeinsamen Intention (Mission) handeln können. In der Stadt Almaty, Kasachstan, haben wir dies im Rahmen eines Portfolios zur Verbesserung der Luftqualität in der Stadt untersucht.

Prinzip 3: Der kleinstmögliche Eingriff 

Wenn wir nicht mit Sicherheit sagen können, welche kausalen Zusammenhänge zwischen unseren Handlungen und ihren Ergebnissen in der Vergangenheit oder in der Zukunft bestehen, erscheint es vernünftig, vorsichtig zu handeln – insbesondere dann, wenn es um öffentliche Innovation geht, deren Folgen negative Auswirkungen auf Dritte haben könnte. 

Vorsichtiges Handeln kann bedeuten, sich bei den meisten Entscheidungen, die wir treffen, immer wieder die Kosten einer „Rückgängig“-Option vorzustellen. Hier geht es tatsächlich um die Vorstellung, weil es in einem komplexen System natürlich kein Rückgängigmachen unserer Handlungen gibt. Aber es gibt höhere oder niedrigere Kosten, wenn man Entscheidungen der Vergangenheit in Frage stellt, verändert oder sogar neu trifft. Das entspricht dem Prinzip des kleinstmöglichen Eingriffs, wie es von Lucius Burckhardt vorgeschlagen wurde. Und es ist ein interessantes Kriterium für die Bewertung unserer Prozesse:

Zu welchen Kosten und für wen sind unsere Handlungen der Vergangenheit in Zukunft veränderbar oder sogar widerrufbar?

Burckhardt beklagte mit Blick auf Städte die konkreten Träume von der Autozentrierung im Städtebau. Und 50 Jahre später erweist sich die Rücknahme dieser konkreten Träume der Vergangenheit für unsere Gesellschaft als äußerst kostspielig. Wie könnte eine Folgenabschätzung aussehen, die die Möglichkeit des Falschliegens und Umentscheidens in den Prozessen der Gegenwart berücksichtigt? Wie würde eine solche Folgenabschätzung für Klimaanpassungsprogramme, Verwaltungsdigitalisierung oder Entwicklungsprogramme aussehen?

Prinzip 4: Always be learning

Letztendlich geht es bei wirkungsorientiertem Handeln immer um Lernen: Lernen über die Systeme, in denen wir uns befinden, Lernen darüber, was funktioniert und warum, Lernen über unsere eigenen Schwächen und Stärken. Zwar trifft die Idee zu Lernen oft auf Offenheit – die Voraussetzung dafür jedoch deutlich seltener. Denn diese ist: Enttäuschung.

Lernen entsteht (auch) durch Misserfolge und enttäuschte Erwartungen: Einen Plan zu erstellen, umzusetzen und zu verstehen, warum er nicht funktioniert hat, ist in der Regel der beste und wirkungsvollste(!) Weg, um in Zukunft einen besseren Plan zu erstellen. Wenn wir unsere Interventionen aus der Perspektive des Lernens und Experimentierens betrachten, können wir neue und bisher unbeabsichtigte Formen der Wirkung anerkennen und in die Gleichung einbeziehen.

Positive und negative Abweichungen etwa sind wertvolle Ressourcen, um etwas über das wirklich Neue zu lernen. Unsere Prozesse so auszurichten, dass diese als eine Form der Wirkung erfasst werden können, wird zu einer wesentlichen Eigenschaft, um sie an die Komplexität anzupassen. Das Gute: Es gibt viel Literatur und viele Methoden zur Arbeit mit positiver Abweichung (Positive Deviance), zum Aufbau von Lernschleifen und zum Verständnis, dass Scheitern eine notwendige Ressource für Veränderungen ist.

Handle with Care

Es gibt noch viele weitere vielversprechende Prinzipien, die unsere Interventionen leiten können: Offenheit, Inklusivität, Fairness, Plausibilität und Transparenz zum Beispiel. Viele davon sind Varianten der oben genannten, viele gehen darüber hinaus. Der Punkt ist jedoch, dass wir, anstatt wieder nach einer definitiven Liste von wirklich wichtigen Dingen zu suchen, uns vielleicht genau damit abfinden müssen, dass wir es immer mit Nicht-Wissen zu tun haben werden – auch und gerade bei der Wirkungsmessung. Egal wie ausgefeilt unsere Listen, Metriken und Modelle sind.

Wir haben Ideen, ja. Aber sie ändern sich ständig. Wir haben die besten Vermutungen, aber sie sind immer riskant. Das zuzugeben, mag sehr unangenehm sein – aber es ist auch sehr ehrlich. Und es ist ein guter Ausgangspunkt, um Wirkung als etwas zu betrachten, das uns helfen oder behindern kann, aber letztendlich auf uns zurück zeigt.

Gehen wir also verantwortungsbewusst damit um.