Innovation mit Intention (2/2)

Posted by Simon Höher and Andi Pawelke
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Innovation mit Intention (2/2)

Ein GesprÀch mit Millie Begovic, Head of Strategic Innovation bei UNDP

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Dies ist Teil 2 unseres GesprÀchs mit Millie. Im ersten Teil geht es um den Aufbau einer neuen Art der Innovationsabteilung bei UNDP, um die Arbeit in, mit und gegen die Organisation und um den Unterschied von taktischer und strategischer Innovationsarbeit.

Beyond Single-Point Solutions

Wir haben mit Millie auch ĂŒber das Problem der Fixierung auf eine einzelne effektive Lösung, eine sogenannte “Single-Point Solution” gesprochen. Oft liegt hier nĂ€mlich die ErklĂ€rung fĂŒr das, was schieflĂ€uft in der Art und Weise, wie wir immer noch versuchen, komplexe Probleme zu lösen. Diese Problematik wird auch von UNDP immer wieder benannt (hier, hier und hier). Die Organisation weiß also schon an einigen Stellen bereits, was sie an anderen noch lernen muss. Auch dies ist ein Muster, das vielen sicherlich bekannt vorkommt. Aber was genau ist problematisch an diesen begrenzten, zielgerichteten, effizienten und passgenauen Lösungen? Und warum können wir diese nicht ohne Weiteres in anderen Kontexten replizieren und skalieren?

“The single-point solution is just not a solution. If there is anybody out there who can show me that a single-point solution has actually effectively addressed inequality or unemployment or the climate crisis, I'll gladly resign from my job. [...] So why is it that single-point solutions are so sexy? Because you can say clearly this is what we're going to do. And you can cut the red ribbon and you can sign an MOU with somebody big and it looks good. It's the front page kind of thing. But it's also a kind of a compensation for feeling disempowered, when facing these really big difficult issues where you don't even know where to start.” (Millie)

Nachvollziehbar ist die Tendenz zu Single-Point Solutions also gleich in mehrfacher Hinsicht: klar budgetierbar und damit abbildbar innerhalb der eigenen Organisationslogik, guter Stoff fĂŒr Erfolgsgeschichten und damit passend zu unseren eigenen Aufmerksamkeitsnarrativen – und vielleicht auch einfach eine verstĂ€ndliche Reaktion im Angesicht einer ĂŒberkomplexen Polykrise, in der alles gleich wichtig und problematisch erscheint. Problematisch wird es jedoch, wenn wir von der Single-Point Solution zum Multi-Point System wechseln wollen. Denn dann kommt ein weiterer hĂ€ufig verwendeter Begriff (mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen) hinzu:

Skalierung

Skalierung hat viele Facetten

Was genau skalieren wir eigentlich im Idealfall? Wie skalieren wir, wo und mit wem? Und was haben Diffusion, Replikation und Lernen damit zu tun? Millie spricht von drei Formen der Skalierung, die sich in ihrer Arbeit bewÀhrt haben:

1. Skaliertes Lernen

Der Versuch, Erkenntnisse aus der Praxis zu gewinnen, um diese in anderen Interventionen umzusetzen. Das hilft uns dabei, die HandlungsfÀhigkeit von EntscheidungstrÀger:innen wiederherzustellen, ihnen helfen zu erkennen, dass sie weit mehr Handlungsoptionen haben als gedacht.

2. Skalierte Partnerschaften

Die Neuformulierung eines Problems, die neue Narrative, neue Betrachtungsweisen und bisher nicht integrierte Perspektiven öffnet – und so Zugang fĂŒr neue Akteure und Partner:innen schafft. Diese sind oft bereits im System vorhanden, aber noch nicht bewusst oder ausreichend einbezogen worden.

“When you're able to bring in youth constituents and women, certain ethnic groups and people with disabilities as a cohort behind a particular issue, presumably, you have a lot more leverage than you would have if you were just working with one particular group.” (Millie)

3. Skalieren vom Zentrum in die Peripherie

Hier geht es vor allem um die Frage, wo denn Problemlösung und die damit verbundene Skalierung tatsĂ€chlich geschieht. Das ist vornehmlich bei jenen, die die Auswirkungen eines Problems konkret spĂŒren. Diese haben den grĂ¶ĂŸten Anreiz, mit diesem Problem fertig zu werden, und finden damit immer neue Lösungswege. Skalierung wird hier zu einer Art dezentraler Ausdifferenzierung.

“It’s those people who are facing the problem and who are paying the biggest cost of that problem that have the most incentive to cope with it, and invent new ways of dealing with it. You then move away from a single-point solution to a million different solutions because there are a million different people who are dealing with that problem.” (Millie)

Zwei Hebel fĂŒr Neues Denken

Dahinter steht – mal wieder – ein neuer, ehrlicher Umgang mit Unsicherheit, der es versteht, diese als Ressource zu nutzen. Das ist oft eine Gratwanderung, bei der es weder darum geht, immer alles in Frage zu stellen und sich selbst handlungsunfĂ€hig zu machen, noch darum, Als-Ob-Wahrheiten mit der RealitĂ€t gleichzusetzen. Millie bezeichnet diese Als-Ob-Wahrheiten in Bezug auf Thea Snow vom Centre for Public Impact als “Certainty Artifacts”:

“Our response to complexity is to create ‘certainty artifacts’ that translate uncertainty into something that we can do something about, for example an organogram, a logical framework, a project document. There is nothing necessarily wrong with it until we start giving it more energy and more life than it is. It's an artifact. That's all it is. There are non-complex things in complex situations, the problem is that the pendulum has swung so far to one side that we shy away from a context of not-knowing and run away from it to reduce uncertainty.” (Millie)
Wir verwenden "certainty artifacts" um Unsicherheit zu reduzieren.

Wie können nun gut ausbalancierte Wege aussehen, um das Pendel wieder etwas in die Mitte schwingen zu lassen? DafĂŒr gibt es mindestens zwei vielversprechende Hebel:

Systemische Portfolios

Wir haben in unseren Blogposts mehrfach auf Portfolios verwiesen. Dieses Instrument wird auch von UNDP vermehrt eingesetzt. Millie beschreibt die Arbeit mit ihnen als Management eines Interventionsmixes, der Teil eines ĂŒbergeordneten und kohĂ€renten VerĂ€nderungsprozesses ist. Auch hier steht das Lernen im Mittelpunkt, auch und insbesondere zwischen und innerhalb der gewĂ€hlten Interventionen. Die Arbeit mit Portfolios ist also eine Art dynamisches Management. Interventionen sind von vornherein darauf ausgelegt, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Der Nutzen des Portfolio-Ansatzes zeigt sich dabei insbesondere beim Umgang mit Problemen, fĂŒr die es keine (offensichtliche) Lösung gibt:

“The problems that UNDP ends up dealing with the most are the problems that are interconnected and complex like inequality, exclusion, lack of opportunity, discrimination, etc. If you start from the outside-in, none of these problems have a single-sector solution. We need to be hitting across many different leverage points in a connected way where interventions learn from one another. And that is a better fit to build a more genuine way of understanding and dealing with issues that are not complicated, but complex.” (Millie)

Finanzierung

Zweitens erfordert ein neuer Umgang mit KomplexitĂ€t auch einen neuen Umgang mit der Finanzierung von Interventionen. Dahinter steht etwa die Frage, wie unsere Organisationen lernen können, Unsicherheit und Unplanbarkeit zu akzeptieren und trotzdem Investitionen in die Zukunft zu machen. Wie wir es also schaffen, von einem Modus, der Finanzierungsentscheidungen so behandelt, als wĂŒssten wir schon vorher ganz genau, welche Lösungen und Instrumente welche Probleme und Effekte adressieren, in einem Modus zu kommen, der von neuen Gelegenheiten, spontanen Notwendigkeiten und Emergenz ausgeht – und lernen, darauf angemessen zu reagieren.

“I think the big question for me is: what does it take for the development sector to go from a projectized proposition where we pretend to know what the issues are, let alone the interventions to something where we say, we don't really know but we're going to create a space where we can collaboratively work to evolve responses to these to these things. Finance is just one expression of that. Because if we fix that first thing, it's going to drive finance in a very different way.” (Millie)

Bei so vielen notwendigen, grundsĂ€tzlichen und dringlichen VerĂ€nderungen stellt sich natĂŒrlich die Frage: Können wir das schaffen? Millie ist sich sicher, dass dieser Wandel möglich ist. Doch UNDP alleine wird diese Aufgabe nicht stemmen können. Es braucht vielmehr eine breite Koalition von mutigen Institutionen und Organisationen und einen neuen Umgang mit einer zunehmend vernetzten Welt. Dann können wir zumindest damit beginnen.

*Anmerkung: Andi ist Teil des UNDP-Innovationsteams und damit ein Kollege von Millie.