Innovation mit Intention (1/2)

Posted by Simon Höher and Andi Pawelke
— 6 min read
Innovation mit Intention (1/2)

Ein GesprÀch mit Millie Begovic, Head of Strategic Innovation bei UNDP

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Dies ist der erste Teil unseres GesprÀchs mit Millie. Den zweiten Teil findet ihr hier.

Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme, UNDP) spielt mit seinem globalen Mandat eine SchlĂŒsselrolle bei der Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele und ist damit prĂ€destiniert fĂŒr Fragen rund um effektive Öffentliche Innovation.

Im GesprĂ€ch mit Millie Begovic* haben wir einen Bogen geschlagen von den frĂŒhen AnfĂ€ngen der UNDP-Innovationsarbeit ĂŒber den zunehmenden Einsatz von Portfolios bis zu den ganz alltĂ€glichen Herausforderungen, denen sie als Head der Strategic Innovation Unit gegenĂŒbersteht wenn es um VerĂ€nderungen geht, die den Kern einer der grĂ¶ĂŸten und wichtigsten UN-Organisationen betreffen.

Millie Begovic

Millie arbeitet schon seit 2006 bei UNDP, zunÀchst in LÀnder- und Regionalprogrammen in Montenegro, Kirgisistan und der Slowakei und seit 2014 als Teil des Innovationsteams. Seit April diesen Jahres leitet sie das globale Team der UNDP Strategic Innovation Unit.

Viele Fragen, Beobachtungen und Methoden, mit denen sich Millie tĂ€glich befasst, erkennen wir in unserer eigenen Arbeit wieder. FĂŒr unsere Suche nach AnsĂ€tzen, Öffentliche Innovation neu zu denken, war dieses GesprĂ€ch also besonders inspirierend. Wir hoffen, es geht euch beim Lesen genauso.

Ein Neuer Anfang

Im Jahr 2020 wurde die UNDP Strategic Innovation Unit ins Leben gerufen, eine Einheit, die darauf ausgelegt ist, bestehende Innovationsvorhaben zu ergĂ€nzen und mit neuen AnsĂ€tzen komplexe Probleme in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Dieser GrĂŒndung vorausgegangen waren viele Jahre der Arbeit mit experimentellen Innovationsmethoden, schlanken, projektbasierten Arbeitsprozessen und zuletzt (2019) der Start des sogenannten UNDP Accelerator Labs Network, einem globalen Netzwerk von Innovationslaboren, das in 115 LĂ€ndern aktiv ist.

Schnell wurde dem Team jedoch klar, dass Öffentliche Innovation nicht alleine eine Frage von Geschwindigkeit ist, sondern auch immer eine Frage der Richtung. Wo soll es eigentlich hingehen? Welche (langfristigen) VerĂ€nderungen sind gewollt? Und sind unsere bestehenden Innovationsmethoden wirklich geeignet, komplexen, langfristig angelegten Wandel zu ermöglichen?

“Yes, we need speed. We need rapid experimentation, we need a lot of new ways of understanding these issues, we need to renew our own toolkit of ways in which we're unpacking issues. But at the same time, a lot of the problems that we're tackling, their nature is not technical, it's political. It's not short term, it's long term. It's a lot more about deep engagement and drawing links between previously disparate partners and bringing them together and aligning them behind a common intent.” (Millie)

Zentraler Begriff fĂŒr ein neues Denken von Innovation wird also die Intention – und damit auch die Frage danach, wer diese Intention formuliert, wie sie in Zukunft angepasst werden kann, und wie auf dem Weg dorthin mit WidersprĂŒchen, Überraschungen oder Interessenskonflikten umgegangen wird. Auch vor diesem Hintergrund beschreiben Giulio Quaggiotto und Millie in einem Blogpost aus dem vergangenen Jahr die Ausgangslage fĂŒr ihren Weg, Öffentliche Innovation neu zu denken, so:

Die Strategic Innovation Unit hat sich diese Einsichten als Grundlage gesetzt, um sich kĂŒnftig systemischer mit Öffentlicher Innovation auseinanderzusetzen:

“The mission of the Strategic Innovation Unit is to bring capabilities into the development sector, specifically UNDP and partners, that would allow us to see under the hood, to understand issues from the perspective of interconnectedness, to move from single-point solutions to a more systemic understanding of what's driving the issues, which in our case really manifests itself in having a bunch of projects that are addressing things like waste and air pollution, when we should really be looking at the economic system that generates a lot of these externalities.” (Millie)

In der Organisation, mit der Organisation, gegen die Organisation

Das ist natĂŒrlich einfacher gesagt als getan. Es geht nun nicht mehr nur um Prototypen, Hackathons und technologiebasierte Lösungen, sondern um die Anerkennung von und die aktive Auseinandersetzung mit KomplexitĂ€t, um Nicht-Wissen und um unvorhersehbare und dynamische Entwicklungen. Ein solches Umdenken ist fĂŒr jede Organisation eine Herausforderung, erst recht fĂŒr eine von der GrĂ¶ĂŸe und KomplexitĂ€t von UNDP mit einem Milliardenbudget und Tausenden von Mitarbeiter:innen in 170 LĂ€ndern:

“There are a number of shifts that we had to make. For example, from being an outside observer of what's going on to recognizing that we are a part of the system. To understand the world, we're actually going outside-in and being cognizant and open [...] to move away from predetermined solutions to reacting to what the system is throwing at us.” (Millie)
KomplexitĂ€t als Perspektivwechsel – von innen nach außen und zurĂŒck.

Anders gesagt: die eigene Organisation ist immer sehr gut darin, Dinge genau so zu tun wie bisher – und genau genommen gar nicht dazu in der Lage, Dinge wirklich grundsĂ€tzlich anders zu machen. DafĂŒr braucht es im wahrsten Sinne eine andere Organisation. Ein Beispiel: Die Art und Weise, wie ein systemisches Portfolio konzeptionell aufgebaut ist, erfordert ein interdisziplinĂ€res Team, das Wissen und FĂ€higkeiten aus verschiedenen Fachgebieten kombiniert. Die UNDP-Organisationsstruktur mit ProjektplĂ€nen, Projektbudgets und Projektverantwortlichen kann diese Art von Portfolio-Team strukturell gar nicht abbilden. Daher arbeitet das Team der Strategic Innovation Unit derzeit u.a. daran, die internen Strukturen, Prozesse, ZustĂ€ndigkeiten und Kompetenzen so anzupassen, dass diese neue Form der Innovationsarbeit möglich ist.

Bis man dort ist, braucht es Geduld, KreativitĂ€t und kleine Hacks: Jede:r, der oder die schon einmal einen Innovationsprozess begleitet hat, kennt diese “ZwischenrĂ€ume”, in denen sich ein paralleles System entwickelt, wĂ€hrend das alte noch in Betrieb ist. Vielleicht ist es ermutigend, sich zu vergegenwĂ€rtigen, dass dieses manchmal verwirrende Dazwischen gar nicht so problematisch ist, wie es scheint – sondern eher genau die Art des Übergangs gestaltet, die es braucht, um sich selbst zu verĂ€ndern, ohne sich dabei zu verlieren.

Taktische oder strategische Innovation?

Wie also können Strategien aussehen, diesen Zwischenraum bewusst zu gestalten? Wann ergibt welche Art der Intervention am meisten Sinn? Millie betont immer wieder, dass es nicht den einen Ansatz gibt, wenn es um Öffentliche Innovation geht. Mal braucht es Experimentierfreude, Innovationswettbewerbe und Rapid Prototyping, um auf die Schnelle viele innovative Ideen zu entwickeln und zu testen. Mal ist es notwendig, zunĂ€chst ein differenziertes VerstĂ€ndnis von komplexen ZusammenhĂ€ngen und von unterschiedlichen Problemtypen zu erlangen. Dann mĂŒssen wir Wege finden, mit KomplexitĂ€t umzugehen, mit Wechselwirkungen und zirkulĂ€ren Wirkungsketten.

“Asking what type of innovation is appropriate may not be the right question to ask. Maybe the right question is: what is the big thing that's keeping us up at night? And once you're able to say what that is, then the question becomes, what are the things that you need to bring to it, to unpack it. Borrowing this idea from Dan Hill of looking at two types of job adverts: Do you want to work in a job where you reduce the time to get your driver's license by 30%? Or do you want to completely rethink mobility, and maybe have no cars in cities at all? Now, it's not one or the other, [...] you need to be able to do both. But how do you continually balance that in a way that you do reduce the headache for people who need to get their driver's license today, while at the same time working to shift the mobility system?” (Millie)
MobilitÀt neu denken

Das Problem bei alldem: Systemischer Wandel braucht Zeit. Langzeiteffekte sind kaum absehbar und die Abwesenheit schneller Ergebnisse (Quick Wins) keinem Geldgeber, keiner Politikerin einfach zu vermitteln. Mal abgesehen davon, dass die Zeit, planetare Mega-Herausforderungen wie die Gestaltung von Klimagerechtigkeit zu bewĂ€ltigen, mehr als drĂ€ngt. Brauchen wir also nicht vielmehr schnelle, disruptive Lösungen, Sprunginnovationen gar, um die notwendige politische UnterstĂŒtzung zu erhalten?

“Yeah, absolutely. The question is how do you balance this long-term change with the political expediency that everybody is after. So if you go to a mayor's office and say ‘I'm going to start getting you some change in about three to four years from now.’ The mayor would respond: ‘Go and leave my office. I've got consultants waiting in line who are going to give me something that I can use tomorrow.’ So then the question becomes what is the low-hanging fruit that you can put forward quickly to keep creating and nurturing that space for change. What we found from our experience is that coherence creates leverage, a quote I completely ripped off of Charles Leadbeater.” (Millie)

Sobald es um Querschnittsthemen wie z.B. Jugendarbeitslosigkeit geht, sind bestehende Strukturen zur öffentlichen Problemlösung hĂ€ufig ĂŒberfordert. Sie sind nicht dafĂŒr gemacht, komplexe Probleme anzugehen, die sich ĂŒber mehrere Politikbereiche strecken. KohĂ€renz, also kontinuierliche, abgestimmte, integrierte und gut koordinierte Arbeit schafft dabei die Hebel fĂŒr langfristige VerĂ€nderung. Klingt eher nach Marathon als nach Sprint. Und nach grĂŒndlich durchdachten, langfristig ausgerichteten Interventionen statt losgelösten One-Off-Initiativen.

Auch das kann selbstverstĂ€rkend sein: Schafft es eine öffentliche Organisation, eine solche Art von “reframing” zu verinnerlichen, ermöglicht dies oft einen (politischen) Vertrauensvorschuss, der wiederum genutzt werden kann, um langfristig zu arbeiten. Ein positiver Feedback-Loop.


AnsĂ€tze, dies in die Tat umzusetzen, gibt es viele. Im zweiten Teil sprechen wir ĂŒber verschiedene Formen der Skalierung, ĂŒber kluge Finanzierung und ĂŒber systemische Portfolios.

*Anmerkung: Andi ist Teil des UNDP-Innovationsteams und damit ein Kollege von Millie.